"Die rousseauistische Idee vom „Urstand der Natur” heißt heute „globale Gerechtigkeit”. Allerdings hat Schiller kein Gefühls- und Ideendrama geschrieben, sondern ein politisches. Liest man es und hält daneben Heinrich von Kleists Erzählung über Tells Bruder im Geiste, Michael Kohlhaas, erkennt man ein Schema, das bis heute hilfreich ist. Durch eine Rechtsverletzung, die die Helden persönlich erleiden, wird der Gesellschaftsvertrag gebrochen. Da alle friedlichen Mittel versagen, bleibt nur der Ausweg gewaltsamen Widerstands. Dieser ist legitim und gefährlich, könnte er doch zur Anarchie, dem Krieg aller gegen alle führen. Schiller domestiziert die Gefahr durch den neuen Bund der Schweizer, eine republikanische Wiedergeburt.
Der preußische Junker Kleist führt seinen musterhaften Staatsbürger Kohlhaas durch Luther und einen gerechten Landesherren in die Welt des Rechts zurück. Beide rechtfertigen den Widerstand und schließen dennoch den Gewalttäter aus der neuen, gerechten Ordnung aus. Tell verhüllt wie der Schuldige im antiken Drama sein Haupt. Kohlhaas bekommt sein Recht, Genugtuung wie Rache, und wird hingerichtet.", SZ, 23.05.07