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Strukturen von gestern für Firmen von morgen?
Der HumanCapital Club stellt den Mitarbeiter in den Mittelpunkt und erläutert seine besonderenen Bilanzierungskriterien
VON ERICH FELDMEIER UND DR. MARKUS WENDT

Teppich, 70 x 40 cm, handgewebt, 1,- Euro. Die Produktionsfaktoren Boden, Kapital und Arbeit bestimmen den Preis. Seit mehreren Jahrhunderten wird fein säuberlich die Abschreibung jeder Schraube und jeglichen verbrauchten Rohstoffs - zunehmend systematisiert - in Kostenstellen erfasst. Weitere Produktionsfaktoren wie Führungsstil, Vertrauen, Respekt (etwa gegenüber Arbeitskollegen, Kunden und Geschäftspartnern oder auch indischen Kindern) sind in Buchhaltungssystemen nicht vorgesehen. Die Ochsengespanne aus der vorindustriellen Periode sind noch heute in Unternehmen des 21. Jahrhunderts im Einsatz.

Dies zu ändern ist das hauptsächliche Anliegen von Peter Friederichs und Dieter Frey, die am 22. Februar 2002 den HumanCapital Club e.V. (HCC) gegründet haben. Der Wirtschaftspsychologe und Personaldirektor a.D. Peter Friederichs ist überzeugt, dass die Bilanzierung und faktische Berücksichtigung dieser Hauptproduktionsfaktoren den Unternehmenserfolg massgeblich und nachhaltig prägt.

Dieter Frey, Professor für Arbeits- und Organisations-Psychologie an der Ludwig -Maximilians-Universität München, hat in Dutzenden von wissenschaftlichen Veröffentlichungen nachgewiesen, dass wirtschaftlicher und humanitärer Erfolg nur zusammen verwirklicht werden kann.

Investitionen und Offenbarungseid

Investitionen zum Erhalt oder gar zur Steigerung von Kapital-Werten sind in jedem Bereich eines Unternehmens selbstverständlich - mit Ausnahme des Kostenfaktors Personal natürlich. Die wirkliche Basis für die dringend notwendigen Innovationen am HiTech-Standort sind jedoch Wissen, Kreativität, und Motivation. Diese werden von Mitarbeitern nur dann geliefert, wenn Innovationen in der Tretmühle erwünscht und anerkannt werden und sich langfristig individuell bezahlt machen.

Laut regelmässigen Erhebungen des GALLUP-Institut sind nur rund zwölf Prozent der Mitarbeiter zufrieden und aktiv für Ihre Firma engagiert. Diese und andere Studien belegen, dass der Offenbarungseid in der traditionellen betrieblichen Kostenrechnung unmittelbar bevorsteht.

Motivation und Gerechtigkeit

Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht gebetsmühlenhaft die "Beamten-Mentalität" in Gesetzen, Institutionen und Menschen als hauptursächlich für wirtschaftliche Depression und fehlende Innovation beschworen wird.

Der Zeigefinger richtet sich auf die Blockadehaltung der "Anderen". Psychologische Feldstudien aus dem Bereich der Spieltheorie (1) zeigen allerdings, dass sich Menschen in Organisationen vorhersagbar selbst blockieren und sogar selbst schädigen, wenn ihr Gerechtigkeitsempfinden verletzt ist.

Der HCC vertritt die Auffassung, dass es noch grosser Anstrengung bedarf, die Lippenbekenntnisse und die "geheimen Spielregeln" (Dieter Frey) in Unternehmen zur Deckung zu bringen. Diese Diskrepanz wirkt organisationsschädigend als chronische Innovationskrankheit.

Als Breitband-Antibiotikum werden Team-Sitzungen verordnet, in denen die Zielkonflikte im wahrsten Sinne des Wortes ausgesessen werden. Ein weiteres modern anmutendes Zeitvernichtungsinstrument ist der Austausch von etwa 4000 PowerPoint- und Excel-Grafiken pro Jahr, die dann anschliessend in Datenfriedhöfen gelagert werden (3), mitunter ernsthaft als Wissensmanagement bezeichnet.

Die Organisationspsychologie bietet seit Jahrzehnten ein reichhaltiges und fundiertes Maßnahmenbündel zur Diagnose und Behandlung dieser schizophrenen Erkrankung. Natürlich bietet die Organisationspsychologie auch Erklärungsmuster an, warum innovative Behandlungsspritzen immer wieder im Dickicht der Organisation steckenbleiben. Der HCC greift aktiv in diese ritualisierten und scheinbar unveränderlichen Prozesse ein.

Wer Visionen hat, sollte zum Arzt

Die Vision des HCC lautet daher: "Im Jahr 2010 werden die Leistungen der Unternehmer und Manager maßgeblich nach Ihrem Beitrag zur Wertsteigerung des Humankapitals beurteilt".

Der HCC vertritt ganz explizit die Meinung, dass die drastischen Auswirkungen des Produktivititätskillers Motivationslosigkeit volks- und betriebswirtschaftlich bewertet und die Ursachen nachhaltig bekämpft werden müssen.

Produktivitätskiller

Ein Unternehmen hat zwei Alternativen, darauf zu reagieren: durch Kostensenkung oder Innovation.

Unternehmen entsorgen typischerweise Personal, weil das die schnellsten und grössten Einsparungseffekte ergibt. Ein Drittel der Unternehmen muss jedoch binnen 18 Monaten wieder Personal einarbeiten und eingliedern - die Stimmung bleibt nachhaltig schlecht.

Natürlich können Kostensenkungen zu kurzfristigen, erheblichen Produktivitätssteigerungen führen, zum Beispiel bei Discountern. Für die breite Masse an Unternehmen zum Beispiel im Einzelhandel, im Handwerk, in der Landwirtschaft und in der Automobilindustrie ist dies eine Sackgasse. Die Einsparungs-Phantasmen eines Ignazio Lopez bescherten Opel eine zehnjährige Qualitäts- und Marken-Krise. Die Preisschlachten führen in eine stetige Abwärtsspirale, die die Überlebensfähigkeit von vielen Betrieben gefährdet. Nachfragekrise beim Erlebniseinkauf.

Die zweite Möglichkeit besteht darin, Unternehmen für Kunden und Geschäftspartner attraktiver zu machen, zum Beispiel durch innovativere Produkte, Dienstleistungen und Service. Hierzu brauchen Sie motivierte Mitarbeiter.

Trotz tickender demografischer Bombe leistet sich die Deutschland AG wie selbstverständlich den Luxus eines Humankapitals von fünf Millionen Mitarbeitern, scheinbar unkündbar angestellt bei der Bundesagentur für Arbeit; bei einem Umsatzpotenzial von 100 000 Euro pro Mitarbeiter eine Minderung des BruttoInlandsProdukts von 500 000 000 000 Euro, also ca. 25 Prozent, nebst Verzicht auf Steuern und Sozialabgaben.Die Quittung für eine solche Verschwendung von Humankapital folgt auf dem Fuß:Jeden Tag schlechte PISA-Werte, ächzende Sozialsysteme, Agenda 2010. Qualität für 1,- Euro?

1.http://ockenfels.uni-koeln.de/

2. http://www.changex.de/d_a01330.html ie



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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2004
Dokument erstellt am 19.06.2004 um 00:13:55 Uhr
Erscheinungsdatum 19.06.2004 | Ausgabe: GES | Seite: 3