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JOBCHANCEN

Firmen, nehmt Querdenker!


Urteilskraft, Toleranz und Menschenkenntnis: Diese Schlüsselkompetenzen sind, so Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, bei Geistes- und Kulturwissenschaftlern besonders ausgeprägt. Er plädiert dafür, dass große Konzerne mehr Philologen einstellen. Die Unis handeln falsch, wenn sie gerade diese Disziplinen kaputtsparen.


DIETER HUNDT



Dieter Hundt, seit 1996 Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (DBA), engagiert sich in Bildungsfragen.

Foto: BDA


Die geistes- und kulturwissen- schaftlichen und die musischen Fächer sehen sich durch die aktuellen Reformen in Schule und Hochschule an den Rand gedrängt. Sie befürchten, es zähle nur noch das Wissen der Natur- und Ingenieurwissen- schaften, das unmittelbar in Produkte und Dienstleistungen umgesetzt werden kann, und nicht mehr ihr Wissen von der historischen, kulturellen und politischen Prägung der modernen Gesellschaften in Europa und der Welt. Dieser Trend werde von der Wirtschaft maßgeblich gefördert, lautet ein Vorwurf.


Es stimmt, dass sich die Arbeitgeber in der Bildungspolitik engagieren. Sie äußern sich vor allem zu den mathematisch-naturwissenschaftlichen und technischen Fächern, denn auf diesen baut die innovative Forschung und Entwicklung und damit die spezifische Kompetenz der deutschen Wirtschaft auf. Es stimmt aber auch, dass nur selbstständig denkende und handelnde Persönlichkeiten innovativ und kreativ sind und über die notwendige Offenheit, Urteilskraft und Phantasie verfügen.


Gerade die Geistes- und Kulturwissenschaften – einschließlich der musisch-ästhetischen Fächer – tragen viel zu dieser Persönlichkeitsbildung, zur Entwicklung von Schlüsselkompetenzen und zu einem weiten geistigen Horizont bei. Schon deshalb müssen sie elementarer Bestandteil der Bildung in Schule und Hochschule bleiben. Wer die musischen, die geistes- und die kulturwissenschaftlichen Fächer stark reduzieren oder ganz abschaffen will, kann sich dabei jedenfalls nicht auf angebliche „Forderungen“ der Arbeitgeber berufen!


In Unternehmen sind Schlüsselkompetenzen gefragt: Kommunikations- und Kritikfähigkeit sind notwendig, um Prozesse weiterzuentwickeln. Ein breites Fundament an Kompetenzen gibt den Mitarbeitern eine größere Einsatzfähigkeit – gerade bei der immer stärkeren Beschleunigung des Wandels – als jede Schmalspur-Ausbildung, die morgen schon veraltet sein kann.


In einer zusammenwachsenden Welt und in international aufgestellten Betrieben werden Sprachkenntnisse und interkulturelle Kompetenzen noch erheblich an Bedeutung gewinnen. Führungskräfte müssen über ein großes Maß an Menschenkenntnis verfügen. Eine unerschöpfliche Quelle dafür bietet die Literatur. Sie stellt gemachte Erfahrungen mit menschlichen Höhen und Tiefen zur Verfügung, die der Einzelne in seinem kurzen Leben nicht alle selbst machen kann.


Auch der musisch-ästhetische Bereich hat seinen Wert für die persönliche Entwicklung wie für die Bereicherung des Lebens. Dies anerkennen die Unternehmen; schließlich sponsern viele von ihnen Maler und Musiker, Orchester und Museen. Es ist daher nicht gleichgültig, wenn der Musikunterricht an den Schulen oft ausfällt, weil er nicht als „hartes“ Fach gilt.


Jenseits persönlicher Kompetenzen geht es aber auch um die Inhalte von Geistes- und Kulturwissenschaften. Zur Allgemeinbildung gehört nach wie vor ein kulturelles Grundwissen über die prägenden Traditionen Deutschlands und Europas. Ohne dieses sind weder unser politisches und wirtschaftliches System noch seine Werte zu verstehen. Bildung heißt, Dinge einordnen zu können: Sie schärft die Urteilskraft und fördert Toleranz und Menschenkenntnis. Das brauchen wir im Betrieb ebenso wie ein jeder in seinem Privatleben und als Staatsbürger. Die Hochschulen haben die besondere Aufgabe, dieses umfassende kulturelle Erbe wissenschaftlich aufzuarbeiten und für unsere Zeit weiterzuentwickeln.


Hochschulen sind zu Wettbewerb und Profilbildung aufgerufen. Dazu gehört auch eine attraktive geistes- und kulturwissenschaftliche Profilbildung. Mit der aktuellen Umstellung der bisherigen Examina auf die Studienabschlüsse Bachelor und Master haben die Geistes- und Kulturwissenschaften nun neue Chancen, ihre Studienangebote gezielt an der Stärkung der Schlüsselkompetenzen zu orientieren. Wenn sie diese Chancen wahrnehmen, werden sie auch aus der Defensive herauskommen. Die Bedeutung der Interdisziplinarität wird wachsen. Sie schafft neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Fachbereichen und macht die musisch-ästhetischen wie geistes- und kulturwissenschaftlichen Fächer daher wieder neu interessant.


Geisteswissenschaftliche Hochschulabsolventen können selbstverständlich in Wirtschaftsunternehmen Erfolg haben, weil sie besondere Fähigkeiten mitbringen: die Fähigkeit zur methodischen und systematischen Analyse, zur Wissensaneignung und Informationsverarbeitung sowie Problemlösekompetenz und Flexibilität; je nach Fach können auch Medien- oder Fremdsprachenkompetenzen hinzukommen. Erfolgreich werden die Absolventen aber nur dann sein, wenn die Hochschulen tatsächlich entsprechende Bausteine in das Studium integriert haben.


Schlüsselkompetenzen müssen zum einen systematisch trainiert und zum anderen auch dokumentiert und transparent gemacht werden. Sie bilden neben den berufspraktischen Elementen die Stärke der Bachelor- und Masterabschlüsse. Die Hochschulen sind gefordert, entsprechende Praktika sinnvoll in den Studienablauf zu integrieren, Programmbeiräte mit Praktikern aus Unternehmen zu besetzen und den Informationspool ihrer Alumni zu nutzen.


Nicht nur staatliche Verwaltung, Bildungs- und Kultureinrichtungen, sondern auch die vielfältige Medienlandschaft und der wachsende Dienstleistungs- und Beratungssektor bieten berufliche Perspektiven; in Unternehmen liegen sie vor allem im Personalbereich und in der Öffentlichkeitsarbeit, aber auch in Weiterbildung und Marketing bis hin zur Assistenz der Geschäftsleitung. Ich ermutige die Unternehmen deshalb, auch Geistes- und Kulturwissenschaftlern eine Chance zu geben.

© Rheinischer Merkur Nr. 31, 04.08.2005